Raute

Reviews

Tanzmusik mit Ecken und Kanten

Die Kölner Band Raute taucht tief in die Geschichte der modernen Rockmusik ein und schafft eine experimentierfreudige und unverkopft mitreißende Tanzmusik. Das Quintett mischt treibende Elektro-Rhythmen mit experimentellem Krautrock.
Ein Musiker ist häufig auch Archäologe: Um neue Klänge zu kreieren, legt er die Fundamente lang existierender Musikrichtungen frei, zieht Inspiration aus Vergangenem. Auch die Kölner Formation Raute taucht tief in die Geschichte der modernen Rockmusik ein – und produziert mit ihrer von elektronischer Musik inspirierten Interpretation des Ende der 1960er Jahre in Deutschland entstandenen Krautrocks eine experimentierfreudige und unverkopft mitreißende Tanzmusik.
„Die Grundidee war, elektronische Musik zu machen, die aber organisch gespielt wird“, sagt Schlagzeuger und Gründungsmitglied Christoph Eggener. Um die Instrumentalstücke live umsetzen zu können, wurden weitere Musiker an Bord geholt. Im Oktober 2012 war das wenige Monate zuvor als Duo gestartete Projekt zum Quintett gewachsen – die Geburtsstunde der Band Raute. Trotz der klassischen Rockbesetzung aus Schlagzeug, Bass und E-Gitarre hat die Combo kaum etwas mit klassischer Rockmusik gemein. Die Songs bestehen nicht aus Strophen und Refrains, sondern, so Eggener, „aus Schichten und Ebenen, aus ineinander verschachtelten Rhythmen“.

BEDROHLICH UND FUNKY

Bedrohlich, aber nicht minder funky beginnt „Materials“: Über einem hypnotischen Schlagzeug-Groove schweben pluckernde Gitarrenriffs, umgarnt von wabernden Keyboardsounds, attackiert von bissigen Samples. Stetig verdichtet sich das Klangbild, bis es schließlich von einer explodierenden E-Gitarre krachend in Brand gesetzt wird. Das psychedelische Stück „Haus 2“ hat eine geradezu halluzinogene Wirkung, „Watching“ dafür einen entrückt-melancholischen Unterton. Vielschichtig und detailverliebt werden Ecken und Kanten zelebriert. Atmosphärisch dichte Sound-Collagen entstehen, die stets nach vorne treiben, die ungestüm rocken und rollen.
Bisher entstanden alle Stücke im Proberaum: „Unsere Jams haben etwas von Bildhauerei“, sagt Gitarrist Roman Biewer. „Das Ziel ist, etwas herauszuschälen, was Melodie, Harmonie und Rhythmus hat.“ Jeder Musiker bringt seine Ideen ein, inspiriert vom Spiel der anderen. Eggener: „Bisher haben wir es immer geschafft, bei den Proben kreativ zu sein – jeder von uns besitzt die Offenheit, sich auf das einzulassen, was im Moment passiert.“ Das klingt nach Improvisation, nach Jazzmusik, deren Gestaltungsfreiräume bei der Band Raute Spuren hinterlassen haben. Wenn ein Stück erkennbar ist, so Biewer, „wird das Ungestüme in eine reproduzierbare und dramaturgisch sinnvolle Form gefasst“.

TANZBARE ROCK-ELECTRO-FUSION

Live servieren Raute ihre Werke als knackige, durchweg tanzbare Rock-Electro-Fusion, die laut Eggener „sowohl jüngere als auch Zuhörer jenseits der 50 Jahre in Bewegung bringt. Es macht mich glücklich, wenn die Leute anfangen zu unseren Stücken zu tanzen, wenn sie einfach loslassen.“ Raute haben sich bereits eine kleine Fangemeinde erspielt, zu der Freunde elektronischer Musik ebenso gehören, wie Fans lautstarker E-Gitarren-Klänge. Der Fünfer vereint eben nicht nur verschiedene Generationen, sondern führt auch zumeist getrennte musikalische Lager zusammen – mit einem Sound, der tief in der Vergangenheit verwurzelt und zugleich zukunftsweisend ist.

Christian Leinweber / Kölner Stadtanzeiger
Klangprobe 09.10.2013

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“Rautrock statt Krautrock”

Wer Fan von Elektro ist, aber auf den Klang von akustischen Instrumenten nicht verzichten möchte, der könnte Fan von Raute werden.

Stimmengewirr, Zwischenrufe, vereinzelte Pfiffe – dann, erst kaum hörbar, drängt sich ein tranciger Synthesizer in das laute Treiben. Schwillt an und – gerade als man die Augen schließen will – unterbricht die Hi-Hat den kurzen Traum und treibt den Bass in die Kniekehlen, die nicht anders können, als mitzuwippen. Im verspielten Wechsel fallen Keyboard und Gitarre in den Beat und plötzlich fühlt man sich wie auf einer Jamsession, als würde das Lied gerade erst entstehen und man ist live dabei. Mit geschlossenen Augen träumen oder tanzen?
„Das ist zwar voll nicht meine Musik, aber die Jungs sind richtig geil!“, brüllt ein Metal-Head in den nicht enden wollenden Applaus. Wir sind in einem Ehrenfelder WG-Wohnzimmer. Vorher hatten zwei Metal-Bands gespielt, dann sprengte Raute mit ihrem ersten Konzert das Genre: „Als wir das Publikum sahen, ging uns schon das Hemd“, sagten sie später. Aber dann wollte man sie gar nicht mehr gehen lassen.
Ein Beweis mehr, dass gute Musik genreunabhängig ist.
Mit ihrem Mix aus analogen und digitalen Klängen treffen sie den Puls der Zeit, in der Analoges und Digitales immer stärker ineinander wachsen. So bildet bei jedem Titel ein Synthesizerteppich die Grundstruktur, in die sich dann Schlagzeug, Bass, Keyboard und Gitarre flechten. Dabei entstehen komplizierte Rhythmen, mit treibenden Bässen, experimentellen Gitarren Sounds und zuweilen jazzigen Keyboard Parts: Das mit einem Augenzwinkern selbsternannte „Rautrock“-Genre.
Und das hat Potenzial, denn die musikalische Herkunft der Bandmitglieder verspricht einen interessanten Mix: Bassist Murat war lange Mitglied in Reggae-Bands, Gitarrist Roman kommt aus den Weiten des Indie-Genre, Christoph bringt rhythmische Funk-Beats ein, genau wie der Synthesizer-Meister Thomas, der sich zusätzlich lange mit Hip Hop beschäftigt hat. Abgerundet wird der Genre-Eintopf mit frischen Jazz-Sounds, von Keyboarder Daniel. So erinnert die Mischung an Bands wie Brandt Brauer Frick, Bonobo, Megashira oder Cinematic Orchestra.
Dabei ist Raute Klangerzeugung besonders wichtig. Jedes Instrument wird für sie zum Klangkörper, dessen Sound sie in frischen Kontexten nutzen wollen. So ist die Gitarre nicht gleich Rock, sondern Soundmaschine. Das Schlagzeug nicht Sampler, sondern vielseitiger Beatgeber: „Im Sinne einer Rücktransformation der elektronischen Musik in eine analoge Welt, die wärmer ist, aufgrund ihrer Fehlerbehaftung, in der nicht jeder Song gleich klingt,“ beschreibt es Schlagzeuger Christoph.
So viel Spaß sie auch am Jammen und Ausprobieren haben, ihr Ziel war von Beginn an die Bühne, die sie ganz ohne Verbissenheit ansteuern: „Im Moment sind die Proben ein Genuss. Der Rest ergibt sich“, sagen sie.
Diese Lässigkeit zeigte sich auch bei der Entstehung ihres Namens, der sich eine Woche vor dem ersten Auftritt, im November 2012, beim Rumblödeln ergeben hat. Schlagzeuger Christoph fiel der schwarz-graue Rautenmuster-Pulli des Bassisten Murat ins Auge, da endet auch schon die Geschichte. „Was wichtig ist, damit etwas gut wird, ist, dass man sich selbst nicht so ernst nimmt und dem affigen Trendscheiß hingibt“, sagt Gitarrist Roman. Und so arbeiten sie weiter daran, ihre musikalischen Vorstellungen umzusetzen und zu perfektionieren. Immer nach dem Motto: „Mal gucken wie‘s ankommt.“ Und dabei nie die Begeisterung für die eigene Musik verlieren. Denn nur mit ihr kann der Funke auch auf die Hörer überspringen. Raute, eine Band mit großen Ambitionen, auf die man sich freuen kann und von der noch einiges zu hören sein wird.

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